Sie lauscht den Tomatenwurzeln

Ora Hazak
© SNF

Ora Hazak hatte schon immer eine Leidenschaft für Pflanzen. Heute erforscht sie, welche Signale von den Wurzeln an die Pflanze gelangen. Ihr Ziel ist eine Landwirtschaft, die sich besser an den Klimawandel anpassen kann.

Ora ist drei Jahre alt, als ihre Mutter sie erstmals bittet, Pflanzen zu giessen. Diese Aufgabe weckt in ihr eine Leidenschaft, die für immer bleiben wird. Als 15-Jährige versucht sie zum ersten Mal, Blumen zu kreuzen – rot und weiss blühende Garten-Balsaminen. Das Ergebnis: eine Mischung aus roten, weissen und rosa Blumen. Die Geheimnisse der Genetik wecken ihren Forschungsgeist, und sie notiert ihre Entdeckungen mit fast schon akademischer Gründlichkeit in einem kleinen Heft.

Heute arbeitet Ora Hazak als Leiterin eines Labors für Pflanzenbiologie an der Universität Freiburg. Dort beschäftigt sie sich mit Molekülen, die Informationen von den Wurzeln an die Blätter von Pflanzen übermitteln. Dank dieser Form von Kommunikation können sie besser auf Stressfaktoren wie Trockenheit, Sonneneinstrahlung oder Fressfeinde reagieren. «Wenn wir diesen Vorgang verstehen, können wir wesentlich dazu beitragen, dass Pflanzen resilienter gegenüber dem Klimawandel werden», erklärt die Wissenschafterin. «Denn die klimatischen Veränderungen vollziehen sich heute wesentlich rascher als in der Vergangenheit, als die Pflanzen in der Regel Hunderte von Jahren Zeit hatten, sich anzupassen.»

Vom Baikalsee nach Tel Aviv

Ora Hazak wurde in Russland am Baikalsee geboren und verbrachte ihre Kindheit in der Nähe von Jekaterinburg, am südwestlichen Rand von Sibirien. Als wäre es das Normalste der Welt, erzählt sie, wie sie in ihrem Wohnzimmer systematisch Pflanzen sortierte und kreuzte und mit Wachstumshormonen experimentierte. Sie erinnert sich auch daran, dass sie schon immer das Bedürfnis hatte, ihre Entdeckungen zu teilen: «Ich zeigte meiner kleinen Schwester meine Experimente und erklärte sie ihr mit einfachen Worten.» Später zog es die junge Frau mit jüdischen Wurzeln nach Israel, um in Tel Aviv zu studieren, selbstverständlich Pflanzenbiologie. Ihre Familie folgte ihr einige Jahre später.

Noch heute ist Hazak die Vermittlung ein Anliegen, weshalb sie regelmässig Gymnasiastinnen und Gymnasiasten in ihr Labor einlädt oder im Departement Biologie einen Wettbewerb für wissenschaftliche Bilder organisiert. Dass sie etwas weitergeben will, zeigt sich auch darin, wie sie über ihre Forschung spricht. Wenn sie Abkürzungen oder Fachbegriffe verwendet, erklärt sie diese sofort. So spricht sie von einer molekularen Schere, mit der das genetische Material eines Organismus präzise verändert werden kann, um die Crispr-Methode zu veranschaulichen. Dann beschreibt sie, wie mit diesem Verfahren die Gene, die man in einer Pflanze untersuchen möchte, einzeln ausgeschaltet werden können. So lässt sich effizient herausfinden, welches Gen wofür verantwortlich ist. Hazak und ihr Team haben mit diesem Verfahren kürzlich Gene identifiziert, die am Transport des Pflanzensaftes von den Blättern zu den Wurzeln beteiligt sind.

Beitrag für die Gesellschaft

In einem Versuchsgewächshaus des Botanischen Gartens in Freiburg zeigt die Forscherin gentechnisch veränderte und unveränderte Tomatenpflanzen. Der Unterschied in der Stängeldicke ist frappant. Seit sie die verantwortlichen Gene kennt, kann sie die Entwicklung des Pflanzensaft-Transportsystems modifizieren.

«Wer die Genetik von Pflanzen erforscht, träumt davon, einen Beitrag für die Gesellschaft zu leisten», sagt die Biologin. «Bei Tomaten sind die Ergebnisse für die Landwirtschaft direkt relevant. In Israel werden sie deswegen sehr häufig als Modellpflanzen verwendet. In der Schweiz ist das seltener der Fall.» Nach ihrer Doktorarbeit in Tel Aviv erhielt Hazak 2015 eine Postdoc-Stelle an der Universität Lausanne, um ihre Arbeit über die Wurzeln und die Entwicklung von Pflanzen zu vertiefen. So zog sie an den Genfersee – sie wurde selbstverständlich von ihren Kindern und auch einigen Tomatensamen begleitet.

Vier Jahre später erhielt sie vom SNF einen Beitrag für Nachwuchsforschende (Ambizione) und dann einen zweiten für die Forschungszusammenarbeit (COST). So konnte sie 2019 an der Universität Freiburg ihre eigene Forschungsgruppe aufbauen. «Das war eine riesige Chance. Ich konnte extrem talentierte Leute einstellen und mehrere Zusammenarbeitsprojekte initiieren, mit Agroscope im Wallis und einem renommierten Spezialisten für molekulare Tomatenforschung in den USA.»

Mutationen auch in der Natur alltäglich

Während Gentechnik und der Austausch von mutiertem Saatgut für die Forschenden heute zur Routine gehören, stösst die Thematik auf mehr Widerstand, wenn es um Projekte in der Landwirtschaft geht. «Viele Menschen sind überzeugt, dass die Natur vollkommen ist und die Forschenden alles durcheinanderbringen», meint Hazak, «aber auch in der Natur finden zu jedem Zeitpunkt zahllose spontane Mutationen statt.» Sie erklärt, dass die dadurch entstehende Vielfalt eine Voraussetzung für die Evolution war und es den Menschen ermöglichte, die Samen von Früchten und Gemüse zu selektionieren, die grösser oder schmackhafter waren. «Die Genmutationen, mit denen ich arbeite, kommen auch in herkömmlichen Tomaten vor. Mit molekularbiologischen Methoden können die Anpassungsprozesse einfach beschleunigt werden, sodass es innerhalb von wenigen Monaten statt einigen Jahrhunderten grössere oder widerstandsfähigere Pflanzen gibt.»

Die Forscherin betont den Unterschied zwischen den Anfängen der Gentechnik – wo manchmal ganze Gene eingefügt und von einer Art auf eine andere übertragen wurden – und heutigen Methoden mit molekularen Scheren wie Crispr: «Man kann nun gezielt an einer bestimmten Stelle in bestehenden Genen Veränderungen vornehmen. Es gibt also kaum mehr einen Unterschied zwischen einer spontanen Mutation in der Natur und dem Ergebnis dieser Art von molekularbiologischen Eingriffen.» Nach Ansicht der Biologin entsprechen die heutigen gentechnisch veränderten Pflanzen daher «einer Züchtung, wie sie auch in der Landwirtschaft üblich ist, mit dem Unterschied, dass diese durch die Wissenschaft beschleunigt wird».

Natur und Wissenschaft nehmen auch in Ora Hazaks Freizeit einen wichtigen Platz ein. Wenn sie im Frühling nicht gerade am Gärtnern ist, spaziert sie manchmal mit ihrem Mann und ihren vier Kindern durch die Löwenzahnfelder, die gerade zu blühen beginnen. «Oft finde ich nach ein paar Minuten eine Blume, die grösser ist als die anderen. Dann erzähle ich meinen Kindern, dass ich die Gene erforsche, die für diese Art von Unterschied verantwortlich sind.» Eines Tages zeigte sie ihnen bei einem Waldspaziergang Moose, «deren Evolution vor mehr als 400 Millionen Jahren begann», und fragte sie: «Wisst ihr, wie lange die Menschen im Vergleich dazu schon hier sind?» So möchte sie in ihnen die Neugierde für die Pflanzenwelt wecken.