Der Permafrost in den Alpen taut auf

Messungen des elektrischen Widerstands im Boden auf dem Wildstrubel.
© Cryosphere and Geophysics Research Group, University of Fribourg

Wenn der Untergrund in den Alpen nicht mehr dauerhaft gefroren bleibt, kann es zu häufigeren Felsstürzen kommen. Dank der Messung des elektrischen Widerstands im Boden können Forschende nun besser verstehen, warum das passiert.

Das Verschwinden der Gletscher ist für alle sichtbar. Weniger offensichtlich ist, was im alpinen Untergrund passiert. Dort taut der Permafrost auf. Und das hat Konsequenzen: Wenn das unterirdische Eis schmilzt, so kann dies Berghänge destabilisieren, die Landschaft verändern sowie Menschen und deren Infrastruktur gefährden.

Deswegen verfolgen Schweizer Forschende den Zustand des Permafrosts im Gebirge schon seit vielen Jahrzehnten. Die klassische Methode dafür sind bis zu hundert Meter tiefe Bohrlöcher, in denen die Bodentemperatur gemessen wird. Das ist allerdings aufwendig und teuer – vor allem in hohen Lagen. «Auch kennt man die Temperatur dann nur punktuell und kann keine Aussagen über das Eisvolumen machen», sagt der vom Schweizerischen Nationalfonds (SNF) geförderte Geowissenschaftler Christian Hauck. Mit seinem Team an der Universität Freiburg hat er in den letzten Jahren eine nicht-invasive Messmethode mitentwickelt, die den Permafrost über grössere Flächen vermisst, die Menge an Eis ermittelt und so Prognosen über zukünftige Entwicklungen ermöglicht.

Wie eine Computertomografie für den Boden

Das Grundprinzip ist einfach: Die Forschenden leiten zwischen zwei Elektroden Gleichstrom durch den Boden und messen den elektrischen Widerstand an einer Vielzahl weiterer Elektroden im Boden. Dieser hängt vom Zustand des Wassers ab − Eis leitet Strom schlechter als flüssiges Wasser, hat also einen grösseren Widerstand. Wenn gar kein Wasser im Boden vorliegt, ist der Widerstand noch höher. Die Messung gibt somit Auskunft darüber, ob und wieviel Wasser in flüssiger oder gefrorener Form vorliegt.

«Ähnlich wie bei einer Computertomografie in der Medizin machen wir teils über tausend individuelle Messungen, um ein dreidimensionales Bild zu erhalten», so Hauck. Hierzu platzieren die Forschenden jeweils fast 50 Elektroden auf einem etwa einen halben Hektar grossen Gebiet. Je weiter die Elektroden voneinander weg sind, in desto tiefere Schichten dringt der Strom ein. «Im Hochgebirge ist es oft nicht so einfach, geeignete Plätze für die Elektroden zu finden. Wir müssen ja auch auf unsere Sicherheit achten», berichtet Hauck von seiner Feldarbeit.

Fünfzehn Prozent Verlust in sieben Jahren

Noch schwieriger ist es dann, aus den gemessenen Daten die Position und Menge an Permafrost zu errechnen. Besonders, da es im Gebirge eine Vielfalt an zusätzlichen Faktoren zu beachten gibt, wie etwa die Beschaffenheit der Gesteinsschichten und die Neigung des Hangs. Das Modell für die Berechnung wird jedoch ständig verfeinert. Dabei hilft auch der Abgleich mit Daten, die mittels anderer Methoden erhoben werden – so misst das Schweizer Permafrostnetzwerk Permos beispielsweise seit zwei Jahrzehnten Temperaturen an der Oberfläche und in Bohrlöchern an vielen Orten in den Alpen.

In einer kürzlich publizierten Studie (*) analysierten die Doktorandin Sarah Morard und das Team um Hauck sämtliche Daten, die über den Permafrost am Hang des Stockhorns oberhalb von Zermatt zur Verfügung stehen: Die Temperaturen in den Bohrlöchern stiegen in den letzten zwanzig Jahren um etwa ein Grad Celsius, der Gefrierpunkt liegt nun mehrere Meter tiefer. Mit den oben geschilderten Widerstandsmessungen gelang es auch erstmals, den Verlust an Permafrost zu quantifizieren: Zwischen 2015 und 2022 ging etwa fünfzehn Prozent des Eises verloren.

Vorhersage der Kipppunkte

In einer weiteren Studie (**) analysierten Hauck und seine Kollegin Christin Hilbich Daten aus Widerstandsmessungen in ganz Europa. Dabei zeigte sich, dass schon ein einziger heisser Sommer – wie in den Jahren 2003, 2015 und 2022 − dazu führen kann, dass Permafrost im Gebirge unwiederbringlich verloren geht. Ein drauffolgender kalter Winter genügt nicht, um den Verlust wieder wettzumachen. «Es braucht schon sehr spezifische Bedingungen, damit sich wieder Permafrost bilden kann», so Hauck. Zum Beispiel muss es genau dann regnen, wenn es sehr kalt ist − damit sich Eis bilden kann, bevor das Wasser wieder ins Tal abfliesst.

Anhand der Widerstandsdaten kann Hauck nun solche Vorgänge in der Vergangenheit nachvollziehen und auch Vorhersagen für die Zukunft machen. Er glaubt, dass der alpine Permafrost an vielen Stellen den Kipppunkt schon erreicht hat oder bald erreichen wird. Das bedeutet, dass sich der Schwund des Permafrosts ab dann von selbst beschleunigt und ohne signifikante Änderungen des Klimas nicht mehr aufgehalten werden kann.

Je nach geologischen Verhältnissen könnte dies dann zu vermehrtem Steinschlag oder Erdrutschen an Stellen führen, wo dies bisher nicht möglich war. Zum Beispiel an Hängen, wo übereinanderliegende Schichten durch Permafrost stabilisiert werden. Umso wichtiger sei es deshalb, Methoden zu etablieren, die solche Kipppunkte möglichst frühzeitig und zuverlässig vorhersagen, so Hauck.

(*) S. Morard et al.: 20-year permafrost evolution documented through petrophysical joint inversion, thermal and soil moisture data. Environmental Research Letters (2024) https://doi.org/10.1088/1748-9326/ad5571External Link Icon

(**) C. Hauck und C. Hilbich: Preconditioning of mountain permafrost towards degradation detected by electrical resistivity. Environmental Research Letters (2024) https://doi.org/10.1088/1748-9326/ad3c55External Link Icon