Vom Schicksal beständiger Planeten und ihren flüchtigen Atmosphären
Dank einem neuen Instrument können Forschende modellieren, wie schnell sich die Atmosphären von Exoplaneten verflüchtigen – ohne die Dienste der ausgelasteten Weltraumteleskope in Anspruch zu nehmen.
Die Atmosphären aller Planeten verflüchtigen sich. Jeden Tag entweichen rund 90 Tonnen Wasserstoff und Helium von der Erde ins Weltall. Aber keine Panik: Wenn es in diesem Tempo weitergeht, reichen unsere Reserven für 150 Milliarden Jahre. Der Mars ist in einer weniger komfortablen Lage: Seine Gashülle weist heute schon eine hundertmal geringere Dichte auf als diejenige der Erde. Manchmal spielt sich das gleiche Drama im Zeitraffer ab. Mehrere Dutzend Lichtjahre vom Sonnensystem entfernt kreisen einige extrasolare Gasplaneten ganz nah um ihren Stern. Ihre Atmosphäre brennt deshalb und die überhitzten Moleküle haben ausreichend Energie, um in grosser Zahl der Schwerkraft zu entfliehen.
Mit Unterstützung des SNF hat das Labor von David Ehrenreich an der Universität Genf das Informatiktool mit Namen p-winds erarbeitet, das den Atmosphärenverlust von Exoplaneten modelliert. Es ist in der Sprache Python programmiert und steht der wissenschaftlichen Gemeinschaft als Open-Source-Tool zur Verfügung.
Alternative zu Weltraumteleskopen
Hubble und die anderen Weltraumteleskope sind für die Untersuchung von Atmosphärenverlusten bei Exoplaneten unerlässlich. Als leichtestes Element, das auch am ehesten entweicht, zeigt sich Wasserstoff im Ultraviolettbereich. Da diese Frequenz aber von der Erdatmosphäre herausgefiltert wird, lässt sich das Phänomen nur vom Weltall aus betrachten.
Allerdings ist ein anderes Phänomen auch von der Erde aus zu sehen: Heliumaustritte sind nämlich im Infrarotbereich sichtbar, der unsere Atmosphäre mühelos durchdringt. «Dank p-winds können diese Austritte modelliert werden», erklärt Leonardo Dos Santos, der den Code des Tools im Rahmen seiner Dissertation in Genf entwickelt hat. «Das Tool soll uns ermöglichen, die Beobachtungen im Infrarotbereich zu interpretieren und eine Alternative zu den Weltraumteleskopen zu schaffen.
«Denn bei diesen ist es schwierig und dauert es oft lange, ein Beobachtungsfenster zu erhalten». Das Tool erlaube es aber noch nicht, den gesamten Atmosphärenverlust abzuschätzen, warnt der Forscher. «Wir müssen das Verhältnis zwischen Wasserstoff und Helium bei den verschiedenen Arten von Exoplaneten besser kennen, um den Wasserstoffanteil zu ermitteln».
Von einstigen Riesen
Bisher wurden 5000 Exoplaneten identifiziert. Äusserst selten sind die sogenannten ultraheissen Neptune. Sie weisen eine ähnliche Grösse wie ihr Namensgeber im Sonnensystem auf und befinden sich so nahe an ihrem Stern, dass ihre Oberfläche über 2000 °C heiss ist. Bei diesen Temperaturen verflüchtigen sich die Gase mit hoher Geschwindigkeit.
«Solche Planeten sind rar – vielleicht gerade weil sie den grössten Teil ihrer Atmosphäre verloren haben», erläutert Leonardo Dos Santos. «Es ist denkbar, dass sie einst Riesen waren, so gross wie Jupiter, und dass sie dann auf eine Grösse geschrumpft sind, die nur noch zwei- bis dreimal dem Erddurchmesser entspricht. Mit p-winds können wir das modellieren und die Hypothese überprüfen.»
Obwohl uns Dutzende von Lichtjahren von diesen Himmelskörpern trennen, betreffen diese Fragen auch unseren Planeten. Denn die Erde hat direkt nach ihrer Entstehung sicherlich einen grossen Teil ihrer Atmosphäre verloren, erklärt Leonardo Dos Santos. «Die physischen Vorgänge sind dieselben, ob es um einen ultraheissen Neptun oder um die Erde geht. Wenn wir verstehen, wie schnell ein ultraheisser Neptun seine Atmosphäre verliert, können wir unser Modell anpassen, um die langfristige Zukunft erdähnlicher Exoplaneten vorherzusagen.»