Bei Rückenschmerzen brauchen die Betroffenen vor allem Geduld

Eine Frau mit Rückenschmerzen steht am Bürotisch.
© Lacheev/i-Stock

Vorübergehende Beschwerden oder chronisches Leiden: Ein vom SNF finanziertes Forschungsteam hat typische Verläufe von Rückenschmerzen identifiziert. Psychosoziale Faktoren spielen eine kleinere Rolle als erwartet.

Rückenweh ist eine Volkskrankheit: Fast 85 Prozent der Menschen haben mindestens einmal im Leben Schmerzen im Bereich der Lendenwirbel, also zwischen der untersten Rippe und dem Steissbein. Diese richtig zu behandeln, ist nicht einfach, denn in den allermeisten Fällen ist es schwierig, die genaue körperliche Ursache zu finden – es handelt sich um sogenannte unspezifische Rückenschmerzen. Bei vielen verschwinden die Beschwerden nach einiger Zeit von selbst. Manchmal jedoch setzen sie sich fest, so dass die Betroffenen im Alltag stark eingeschränkt sind. «Über den Ausgang entscheiden wahrscheinlich ganz viele Faktoren», sagt Sabina Hotz, Professorin für Physiotherapiewissenschaften. Doch wie diese genau zusammenspielen, ist noch nicht bekannt. In einer vom SNF unterstützten Studie hat sie nun häufige Schmerzverläufe charakterisiert – mit dem Ziel, individuellere Behandlungsstrategien zu entwickeln.

Hierfür begleitete das Team der ZHAW ein Jahr lang 176 Menschen, bei denen neu oder wiederkehrend Beschwerden im Bereich der Lendenwirbel aufgetreten waren. Die Forschenden fragten die Studienteilnehmenden zu verschiedenen Zeitpunkten, als wie stark sie ihre Schmerzen empfanden. Hierfür verwendeten sie einen Online-Fragebogen, der den Schmerz auf einer Skala von eins bis zehn einordnete: Stufen 1 bis 3 bedeuten schwach, Stufe 4 bis 7 bedeuten mittel, Stufe 7 bis 10 bedeuten stark. So konnten sie Fluktuationen im Verlauf eines Jahres verfolgen.

Ebenfalls durch Online-Fragebögen erfasst wurden weitere Aspekte wie medizinische Behandlungen, Arbeitssituation, Stress und Depressionen. Zusätzlich wurden klinische Untersuchungen durchgeführt, deren Ergebnisse nicht direkt in die vorliegende Publikation eingeflossen sind. «Wir haben damit zum ersten Mal sowohl klinische Daten als auch psychosoziale Faktoren gemeinsam in einer Langzeitstudie erhoben. Das war ziemlich aufwendig», so Hotz.

Schnelle Heilung ist selten

Bei der Auswertung liessen sich vier typische Verläufe ausmachen: Bei mehr als der Hälfte der Versuchspersonen schwankten die Schmerzen im Jahresverlauf zwischen mittel und schwach. Bei etwa sieben Prozent gab es Fluktuationen zwischen mittel und stark. Ein Drittel erlebte die Beschwerden als durchgehend mittel. Und bei nur etwa sechs Prozent war das Leiden nach einem Jahr verschwunden – die Besserung trat jedoch erst gegen Ende der Beobachtungzeit ein. «Dies zeigt, dass die Heilung von Rückenschmerzen oder aber die Entwicklung chronischer Beschwerden meistens nicht auf einem geraden Pfad verläuft», so Hotz. Die Erwartung der Patientinnen und Patienten, dass schon nach wenigen Wochen eine Besserung eintritt, wird selten erfüllt.

Interessanterweise machte es für die Stärke und Dauer der Beschwerden auch keinen Unterschied, ob die Betroffenen wegen dem Rückenweh in physiotherapeutischer oder medizinischer Behandlung waren oder nicht. Hotz schliesst daraus, dass eine Behandlung nicht in jedem Fall zu einer schnelleren Heilung beiträgt. Es genügt, wenn die Betroffenen sich zunächst schonen und dann zu normalen Aktivitäten zurückkehren. Leichte Schmerzmittel können am Anfang helfen, die Situation erträglicher zu machen. Mit wenigen Ausnahmen – etwa bei über mehrere Wochen anhaltenden sehr starken Schmerzen − seien auch teure Abklärungen wie ein MRT nicht nötig oder hilfreich.

Allerdings gab es zwei Faktoren, die schon früh auf einen schwereren Verlauf hindeuteten: Nämlich, wenn der Schmerz zu Beginn stark war oder die Betroffenen schon zum wiederholten Male starkes Rückenweh hatten. Um diese Patientinnen oder Patienten sollten sich die behandelnden Ärztinnen oder Physiotherapeuten schon von Anfang an besonders kümmern – so eine Erkenntnis der Studie.

Unklare Rolle der Psyche

Die statistische Analyse ergab überraschenderweise auch keinen Zusammenhang zwischen psychosozialen Faktoren und der Schwere des Verlaufs. Dies widerspricht den Ergebnissen anderer Studien, die beispielsweise darauf hinwiesen, dass Menschen mit Stress oder Depressionen öfter schlechtere Verläufe haben. Dies konnte die vorliegende Untersuchung nicht bestätigen. Möglicherweise sind unterschiedlichen Methoden bei der Erfassung der Faktoren und bei der statistischen Auswertung dafür verantwortlich.

Hotz glaubt trotzdem, dass bei Rückenleiden auch psychosoziale Faktoren im Spiel sind: «Körper und Geist spielen immer zusammen und lassen sich nicht so einfach trennen.» Aber vielleicht verläuft das Zusammenspiel nicht so, wie die bisherige Forschung suggeriert. So sei etwa ein in der Psychologie eingesetzter Test zu Depressionen nicht unbedingt auch für Schmerzpatienten geeignet – die sich aufgrund ihrer Erkrankung und der dadurch verursachten Belastung oft in einer Ausnahmesituation befinden und daher vielleicht eher zu negativen Gedanken neigen. «Die Wissenschaft müsste hier ein bisschen kreativer werden und sich bessere Methoden überlegen.» Hotz schlägt etwa vor, in Zukunft neben standardisierten Fragebögen auch qualitative Methoden einzusetzen, bei denen die Versuchspersonen frei erzählen können, wie sie die Beschwerden erleben.

Für das Forschungsteam, zu dem auch praktizierende Fachleute der Physiotherapie gehören, ist vor allem wichtig, dass die gewonnenen Erkenntnisse unmittelbar in die Praxis einfliessen. «Entscheidend ist beispielsweise zu vermitteln, dass es ganz normal ist, wenn die Schmerzen länger als ein paar Wochen andauern oder zunächst abklingen und dann wieder kommen. Und dass dies kein Grund zur Sorge ist, dass der Rücken immer schlechter wird», sagt Hotz. Sie plädiert deshalb auch dafür, nicht mehr von unspezifischen, sondern von gutartigen Rückenschmerzen zu sprechen.