Achtung, zu komplexe News!
Manchmal widerstrebt es einem, die Zeitung zu lesen oder die Nachrichten zu schauen. Doch weshalb genau? Oft wird negativen Meldungen die Schuld gegeben. Das ist laut einer Freiburger Forscherin jedoch nicht der einzige Grund.
Ein beträchtlicher Teil der Gesellschaft vermeidet die Konfrontation mit Meldungen zum aktuellen Weltgeschehen ganz bewusst. So verzichten laut einer aktuellen Studie der Nachrichtenagentur Reuters 40 Prozent der Amerikanerinnen und Amerikaner darauf, die News in der Zeitung oder online zu verfolgen. Als Erklärung wird häufig vermutet, dass die Berichterstattung zu besorgniserregend sei. Dass das nicht der einzige Grund ist, zeigt Kommunikationswissenschaftlerin Gwendolin Gurr, die heute als Datenanalystin beim Deutschschweizer Radio und Fernsehen SRF arbeitet. In ihrer vom SNF finanzierten Studie, die im International Journal of Communication veröffentlicht wurde, identifizierte sie drei Ursachen dafür, dass das Publikum das Interesse an einem langanhaltenden Thema verliert und entsprechenden Meldungen aus dem Weg geht: Repetition, Komplexität und ein Fokus auf politische Strategien.
Um diese Faktoren zu testen, untersuchte Gurr, wie in der Schweiz die News über den Brexit verfolgt wurden. «Das Thema habe ich natürlich nicht zufällig gewählt», erklärt sie. «Es betrifft die Schweiz, aber nicht so direkt, dass Ängste der Hauptgrund für eine Abwehrhaltung waren. Das Thema war ausserdem «genügend lange aktuell, dass überhaupt eine Ermüdungseffekt eintreten konnte».
Die Forscherin kombinierte in ihrer Studie Ergebnisse einer Umfrage bei der Schweizer Bevölkerung mit einer Inhaltsanalyse der Berichterstattung über den Brexit hierzulande. Die Befragten gaben an, welche Gedanken und Gefühle das Thema bei ihnen auslöst und wie häufig sie sich darüber informieren. Die News wiederum wurden nach verschiedenen Kriterien eingestuft, namentlich Negativität, Intensität, Komplexität, Sensationslust, Repetition, politische Strategien.
Insgesamt führte die Forscherin drei Umfragen zu unterschiedlichen Zeitpunkten durch – und jeweils gleichzeitig eine Analyse der Artikel über den Brexit. So konnte sie beobachten, ob sich die Stimmung in der Öffentlichkeit im Gleichschritt mit der Tonalität und dem Inhalt der Medienberichte entwickelte.
Kontext langweilt
Ein erster Punkt, der aus der Studie hervorgeht, betrifft den Wiederholungseffekt. Im Allgemeinen ist eine Ermüdung festzustellen, wenn Medienbeiträge wenig neue, aber gleichzeitig viele bekannte Informationen enthalten. Diese werden häufig zur Einordnung in den Gesamtkontext rekapituliert. Mit anderen Worten: Zu viele bereits bekannte Informationen schrecken das Publikum ab. Und umgekehrt: Am attraktivsten sind die aktuellsten News.
Das zweite abschreckende Element ist ein komplexer Stil. Gwendolin Gurr hat ein System angewendet, mit dem sie den Schwierigkeitsgrad der Sprache in Artikeln und Reportagen bewertet. Dazu misst sie etwa die Satzlänge und weitere sprachliche Aspekte. Ergebnis: Komplex formulierte Nachrichten lösen eher ein Gefühl der Ermüdung aus.
Schliesslich ergab die Analyse, dass die Ermüdung eher eintritt, wenn politische Aspekte dominieren. Wenn es also nicht so sehr um Fakten geht, sondern um politische Manöver im Zusammenhang mit diesen Fakten – Ränkespiele im Parlament, Allianzen, Wahlstrategien. Oder kurz gesagt: Politische Schachzüge mögen die Politik und die Medien begeistern, einen Grossteil der Öffentlichkeit lassen sie aber offenbar kalt.
Sorgenkind Klima
Im Gegensatz zu anderen Analysen, in denen die Negativität von Meldungen häufig als Hauptgrund für Desinteresse an News genannt wird, wurde dieser Effekt in der Freiburger Studie nichtgefunden. Das bedeutet jedoch nicht, dass die Ergebnisse von Gurr der bisherigen Forschung widersprechen. «In der Schweiz war die Berichterstattung über den Brexit fast ausschliesslich negativ, sodass es gar nicht möglich war, einen Effekt zu messen», erklärt die Forscherin.
Lassen sich diese Ergebnisse auf andere Themen wie die Klimakrise übertragen? «Man kann natürlich sagen, dass das Klima als Gegenstand der Berichterstattung sehr repetitiv ist, da über eine längere Zeit ähnliche Ereignisse auftreten und analysiert werden », erklärt Gurr. «Unsere Arbeit zeigt deutlich, dass dies bei der Ermüdung eine wichtige Rolle spielt.»
Zudem sind die Erklärungen oft technisch – was komplexere Formulierungen begünstigt – und anfällig für politische Vereinnahmung und entsprechende Manöver. Mit anderen Worten: Alle drei von Gwendolin Gurr identifizierten Faktoren für Ermüdungserscheinungen sind bei der Klimakrise vorhanden. Medienschaffende, die eine breite Öffentlichkeit über Klimafragen informieren wollen, haben es somit gemäss der Forscherin nicht leicht.
Gleichzeitig schränkt sie ein: «Auch wenn man aus meiner Studie allgemeine Schlussfolgerungen ziehen kann, lassen sich unsere Ergebnisse nicht einfach so übertragen, denn jedes Thema ist individuell». Als Beispiel nennt Gwendolin Gurr bewaffnete Konflikte oder humanitäre Katastrophen, bei denen eine spezifische Form der Ermüdung auftritt, die sogenannte «Mitgefühlsmüdigkeit».