Die Terroristin, die zum Opfer wurde
Vor vierzig Jahren wurde die italienisch-deutsche Terroristin Petra Krause in der Schweiz verhaftet. Gegen die Isolationshaft wehrte sie sich mit Hungerstreiks und warf damit hohe mediale Wellen. Von Urs Hafner
(Aus "Horizonte" Nr. 106, September 2015)
Bild: © Keystone / AP Photo / Gianni Foggia
Die 1970er Jahre sind in Westeuropa die Zeit des linken Terrorismus. Bewaffnete Gruppen bekämpfen den Kapitalismus. Das Ziel der Roten-Armee-Fraktion (RAF) und der Brigate Rosse (BR) sind die Weltrevolution und die Errichtung einer gerechten Gesellschaft. Auch in der Schweiz sind antifaschistische Revolutionäre tätig. Die Polizei verhaftet 1975 die "Petra-Krause-Gruppe". Petra Krause ist eine junge, italienisch-deutsche Anarchistin. Nachdem sie sich in Italien an einem Brandanschlag beteiligt hat, ist sie in die Schweiz geflohen, wo sie zusammen mit Zürcher Anarchisten ihren Kampf weiterführt und aus Armeedepots Waffen für Gesinnungsgenossen in Südeuropa stiehlt.
Knapp drei Jahre verbringt Petra Krause in Isolationshaft, bevor sie 1977 nach Rom ausgeliefert wird. Dreimal tritt sie in der Schweiz in den Hungerstreik. Ihre Forderungen: die Abschaffung der Isolationshaft für alle Untersuchungshäftlinge, die Erlaubnis, sich eine Stunde täglich im Hof zu bewegen, und das Recht, den Arzt selbst auszuwählen. Die Hungerstreiks stiessen in der Schweiz auf ein grosses und kontroverses mediales Echo. Wie es zu dieser Kontroverse kam, hat die Historikerin Dominique Grisard vom Zentrum Gender Studies der Universität Basel untersucht.
Attacken einer Frau
Den Schlüssel sieht Dominique Grisard, die sich bereits in ihrer 2011 publizierten Dissertation mit der «Geschlechtergeschichte des Linksterrorismus in der Schweiz» beschäftigt hat, im Genderaspekt. Auf der einen Seite ist die zunehmend zerbrechliche Frau, die am Ende des dritten, vom 19. Juni bis 16. Juli 1976 dauernden Hungerstreiks nur noch 35 Kilo gewogen hat. Die Frau, die als Kind Auschwitz überlebt hat und nun mit "männlichen", gewaltsamen Mitteln den Staat attackiert. Auf der andern Seite die schweizerische Nation, ein jahrhundertealter Männerbund, der den Frauen erst vor kurzem, 1971, die politischen Rechte zugestanden hat und von seinen Mitgliedern Gehorsam verlangt.
Laut Dominique Grisard bedroht Petra Krause, die von feministischen und linken Gruppen unterstützt wird, diese binäre Geschlechterordnung. Mit ihrem weiblichen, von Haft und Hunger gezeichneten Körper habe sie die verdrängte Verletzlichkeit des männlichen Bürgers und seine Abhängigkeit vom Staat sichtbar gemacht.
Wahrnehmung wandelt sich
Auffallend sei der Wandel der Wahrnehmung, sagt Dominique Grisard. Zuerst sei die Terroristin als irrationale Täterin dargestellt worden, die ihren Körper als Waffe einsetze. Dann sei dieser zu dem eines geschwächten Opfers stilisiert worden. "Die linke Presse sah in diesem Körper ein Ergebnis der Unterdrückung des Staats, die rechte Presse betrachtete ihn als Mittel der Erpressung", sagt Grisard. Die Inszenierung des Terrorismus als gebrechlichen Frauenkörper habe die Öffentlichkeit verunsichert und die herkömmliche Unterscheidung zwischen der legitimen Gewalt des Staats und der illegitimen Gewalt der Terroristen in Frage gestellt. Die Figur der Petra Krause habe sich vom unberechenbaren Täter in ein verletzliches Opfer verwandelt, während die Vorstellung eines souveränen Staats, der seine Bürger vor Terroristen schützt, zunehmend durch das Bild eines impotenten Staats ersetzt worden sei, der seine Subjekte verletzt.
Haben Krauses Hungerstreiks eine Wirkung gehabt? Kaum, sagt Grisard. Es habe im Parlament einige Anfragen zu Haftbedingungen gegeben, aber gesetzliche Änderungen seien keine vorgenommen worden. Immerhin erreicht Krause, die im Gefängnis schikaniert wird – so sollen ihr die Wärter die von ihr verlangten Tampons verweigert haben –, einige Hafterleichterungen. An der Praxis der Isolationshaft haben ihre Aktionen nichts geändert.