Weltkarte eines Spurenelements
Selen ist wichtig für alle Lebewesen. Ein einzigartiges Projekt kartografiert die weltweite Verteilung des Spurenelements und versucht die Ursache seiner Mängel zu verstehen. Von Alexandra Bröhm
(Aus "Horizonte" Nr. 112 März 2017)
Es kommt nur in winzigen Konzentrationen vor und ist für Lebewesen doch unverzichtbar: das Spurenelement Selen (Se). Selen bekommt meist weniger Aufmerksamkeit als seine grossen Brüder Eisen, Jod oder Zink, doch auch ohne Selen geht es für Mensch und Tier nicht. Das war für die Biogeochemikerin Lenny Winkel vom Department Umweltwissenschaften der ETH Zürich und der Eawag Grund genug, sich dem Spurenelement ausführlicher zu widmen. Dabei nimmt Winkel nicht nur die molekulare Ebene, sondern auch die grossen Zusammenhänge in den Blick. Mit ihrem Team geht sie den Fragen nach, wie die Verteilung von Selen auf dem Globus aussieht und welche Faktoren sie bestimmen.
Weltweite Mangelerscheinung
"Grundsätzlich wissen wir noch nicht allzu viel über die Verteilung von Spurenelementen", sagt Winkel. Die Selenkonzentration in den Böden unterscheide sich von Region zu Region stark. Der Mensch nimmt Selen vor allem aus pflanzlichen Lebensmitteln auf. Doch auch der Selengehalt in Pflanzen variiert stark, je nachdem, wo sie wachsen.
Es gibt Schätzungen, wonach eine halbe bis eine Million Menschen weltweit unter einem Selenmangel leiden. In Europa sei weniger die Konzentration in den Böden problematisch, sagt Winkel, sondern die geringe durch Pflanzen aufgenommene Menge. Das bedeute nicht, dass zwingend alle Menschen in der Schweiz einen Selenmangel hätten, da wir uns selten nur von lokalen Produkten ernährten. "Auch wegen der Klimaerwärmung geht die Selenkonzentration im Boden global zurück", sagt Winkel. Mit ihrem Team hat sie erstmals eine kürzlich publizierte Weltkarte der Selenverteilung in Böden erstellt. Nicht nur Europa, sondern auch Gebiete auf andern Kontinenten seien betroffen.
Die Selen-Hühner in der Mongolei
In der Mongolei haben die Behörden 2016 ein Programm gestartet und Hühner mit Selen-angereicherter Hefe gefüttert. Mit diesen Eiern könnten Mangelerscheinungen in der Bevölkerung gemildert werden.
Verschiedene Klima- und Bodenparameter bestimmen, wie hoch die Selenkonzentration im Boden ausfällt. Als Faustregel gilt: Wenn der Boden trocken ist, liegt meist auch der Selengehalt zu tief. Nicht nur die Menge des Niederschlags bestimmt die Konzentration, auch die Bodenbeschaffenheit spielt eine wichtige Rolle und wie hoch die jeweilige organische Kohlenstoffmenge ist. Das organische Material verbindet sich mit dem Selen und hält es so eher im Boden.
"Lenny Winkels Forschungsprojekt ist sehr wichtig und einzigartig", sagt Markus Lenz, der an der Hochschule für Life Sciences der FHNW ebenfalls zum Thema Selen forscht. Es gäbe nur wenige vergleichbare Arbeiten, die sich mit der globalen Verteilung der Spurenelemente beschäftigten. Selen sei zudem nicht einfach zu erforschen: es hat eine sehr komplexe Chemie und kommt in der Umwelt in verschiedenen Bindungsformen vor.
Unklar ist noch, inwieweit das Phytoplankton in den Weltmeeren eine Rolle bei der globalen Verteilung des Spurenelements spielt. Auch diesen Aspekt will Winkels Team näher untersuchen. Nur wenn man mehr über die die globalen Verteilungswege des Selens wisse, könne man Massnahmen ergreifen, um den Mangel in gewissen Regionen zu bekämpfen, der durch den Klimawandel verschärft wird.
Alexandra Bröhm ist Wissenschaftsjournalistin beim Tages-Anzeiger und bei der Sonntagszeitung.
G.D. Jones et al.: Selenium deficiency risk predicted to increase under future climate change. PNAS (2017)
Baustein von Aminosäuren
Selen ist für Menschen wichtig, weil es Teil einer Aminosäure ist. Das Spurenelement hilft dabei, Zellschäden vorzubeugen. Auch für das Immunsystem spielt es eine wichtige Rolle, ausserdem ist es an der Bildung des Schilddrüsenhormons beteiligt. Die ideale Dosis Selen für den Menschen liegt in einem relativ kleinen Bereich zwischen 40 und 400 Mikrogramm pro Tag. Unter 30 Mikrogramm spricht man von einem Mangel, Dosen über 900 Mikrogramm sind toxisch.