Die Lohnquote in der Schweiz bleibt konstant
In der Schweiz ist der Anteil der Löhne an den Gesamteinkommen in den letzten 30 Jahren konstant geblieben. In den anderen entwickelten Ländern dagegen sank die so genannte Lohnquote, wie eine vom Schweizerischen Nationalfonds (SNF) unterstützte Studie zeigt. Der Grund für die Stabilität der schweizerischen Lohnquote ist unter anderem das hohe Bildungsniveau.
Die Einnahmen, die eine Firma erwirtschaftet, werden aufgeteilt zwischen Arbeitnehmenden (Löhne) und Kapitaleignern (Gewinne). In der Ökonomie wird der Lohnanteil am Gesamteinkommen der Bevölkerung als Lohnquote bezeichnet. Sie gibt wichtige Hinweise darauf, wie die Einkommen in einem Land verteilt sind. Denn Lohneinkommen sind in der Gesellschaft gleichmässiger verteilt als Kapitaleinkommen, die sich auf wenige konzentrieren. Die Verringerung der Lohnquote führt also tendenziell zu einer grösseren Verteilungsungleichheit in einer Volkswirtschaft und könnte den sozialen Zusammenhalt in einer Gesellschaft schwächen.
Michael Siegenthaler, Tobias Stucki und Michael Graff von der Konjunkturforschungsstelle KOF an der ETH Zürich haben untersucht, wie sich die Lohnquote in den Ländern der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) in den letzten Jahrzehnten entwickelt hat. Die Schweiz nimmt offenbar eine Sonderrolle ein: Von 1980 bis 2012 ist die Lohnquote hierzulande stabil geblieben, während sie in den allermeisten anderen OECD-Staaten gesunken ist. In der Schweiz betrug der Anteil der Löhne am Gesamteinkommen konstant zwischen 65 und 70 Prozent. In Ländern wie Frankreich, Italien, Japan, USA oder Schweden dagegen sank die Lohnquote in den letzten 30 Jahren von 65 bis 70 Prozent auf 55 bis 60 Prozent.
Dank hohem Bildungsniveau hohe Lohnquote
Anhand von Firmendaten untersuchten die Forschenden, welche Faktoren Veränderungen der Lohnquote erklären können. Neben der Schwächung der Gewerkschaften sorgte vor allem der vermehrte Einsatz von Computern und dem Internet dafür, dass die Lohnquote in den meisten OECD-Ländern sank. "Routinetätigkeiten werden heute vermehrt von einem Computer ausgeführt statt von einem Menschen", sagt Michael Siegenthaler. Das vermindert den Lohnanteil am Gesamteinkommen, weil insbesondere schlechter qualifizierte Arbeitskräfte nicht mehr gebraucht werden.
Im Vergleich mit Ländern wie Schweden oder den USA habe die Schweiz diese technologische Umwälzung von 1980 bis Mitte der 1990er Jahre verschlafen, sagt Siegenthaler. Nachher konnte die Schweiz den Effekt der digitalen Revolution auf die Lohnquote teilweise durch ihren hohen Bildungsstandard abfedern: Relativ viele hoch qualifizierte Arbeitskräfte führen am Computer komplexe Tätigkeiten aus.
Schweiz wird Sonderstellung einbüssen
Ein anderer wichtiger Grund für den "Sonderfall" Schweiz punkto Lohnquote ist laut den Forschenden die Veränderung in der Branchenzusammensetzung. In den letzten 30 Jahren habe sich diese in der Schweiz weniger stark zu Branchen mit tiefen Lohnquoten verschoben als in anderen Ländern. "Die Schweiz hat sich auf wissensintensive Branchen in der Industrie und den Dienstleistungen spezialisiert, die überdurchschnittlich hohe Lohnquoten aufweisen", sagt Siegenthaler. Das hat der Abnahme der Lohnquote entgegengewirkt.
Die Forschenden haben zudem untersucht, wie sich die Lohnquote in der Schweiz entwickeln könnte. Sie gehen davon aus, dass die Computerisierung der Arbeitswelt weiter fortschreitet und die Macht der Gewerkschaften noch mehr abnimmt. Daher werde die Schweiz wahrscheinlich ihre Sonderstellung teilweise einbüssen; auch hier dürfte die Lohnquote bis ins Jahr 2020 abnehmen.
Kontakt
Michael Siegenthaler
ETH Zürich
KOF Konjunkturforschungsstelle
Weinbergstrasse 35
8092 Zürich
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E-Mailsiegenthaler@kof.ethz.ch