Das ethische Dilemma der forensischen Therapie
Therapieren und der Justiz berichterstatten – psychiatrische Fachpersonen im Massnahmevollzug haben einen Loyalitätskonflikt. Wie sie damit umgehen.
Die Behandlung von Menschen, bei denen vom Gericht eine therapeutische Massnahme angeordnet wurde, bringt medizinische Fachpersonen in einen Loyalitätskonflikt. Eine vom SNF unterstützte Studie(*) hat nun ermittelt, wie sie in der Praxis damit umgehen.
Fast tausend Personen müssen sich in der Schweiz einer vom Gericht angeordneten psychiatrischen Behandlung unterziehen (Stand 2019). Vom Erfolg dieser Massnahme hängt letztlich die Dauer des Freiheitsentzugs ab. Die dafür eingesetzten Fachpersonen – forensische Psychiaterinnen, Psychologen und Pflegekräfte – dienen also zwei Herren: Einerseits sollen sie den Behandelten die bestmögliche Therapie zukommen lassen, andererseits müssen sie der Justiz über Fortschritte berichten und einschätzen, ob eine Entlassung das Wohl der Gesellschaft gefährdet.
Das Institut für Bio- und Medizinethik der Universität Basel hat nun erstmals im Rahmen einer schweizweiten qualitativen Studie etwa 30 in diesem Bereich tätige Personen zu ihrer Doppelrolle befragt: Wo sehen sie sich in der Dreiecksbeziehung zwischen Justiz und Personen im Massnahmenvollzug? Und mit welchen Methoden lösen sie das ethische Dilemma im Alltag? Die Studie erfolgte im Rahmen des interdisziplinären SNF-Projekts «Älter werden in Haft» unter Leitung der Ärztin und Theologin Bernice Elger.
Vertraulichkeit begrenzt
Wie die Interviews zeigen, sind sich die Fachpersonen der Problematik bewusst und die allermeisten verorten sich irgendwo in der Mitte zwischen den Parteien. Und alle Befragten berichten auch über ähnliche Lösungsansätze, obwohl es in der Organisation der angeordneten Therapien erhebliche kantonale Unterschiede gibt − beispielsweise bei der Unterbringung von Massnahmepatienten im Gefängnis oder in einer psychiatrischen Klinik sowie beim Anstellungsverhältnis der behandelnden Psychiater und Psychologinnen durch das Justiz- oder Gesundheitsdepartment.
«Transparenz in der Kommunikation zwischen allen Beteiligten scheint unbestritten wichtig», so Elger. Dies kann beispielsweise dadurch geschehen, dass die Patienten und Patientinnen Einblick in die Berichte an die Justiz bekommen. Oder dass von vorneherein klar kommuniziert wird, welche persönlichen Details an die Justiz weitergegeben werden dürfen und welche nicht. Grundsätzlich empfinden es eine Reihe von therapeutischen Fachpersonen als besonders problematisch, dass sie den Behandelten nur begrenzt Vertraulichkeit zusichern können, weil sie der Justiz Auskunft geben müssen – sie befürchten, dass dies den Therapieerfolg beeinträchtigt.
«Bisher gibt es in der Schweiz leider keine verbindlichen Vorgaben für den Umgang mit solchen ethischen Konflikten», so Elger, «Die Erkenntnisse aus den Interviews bieten möglicherweise eine Basis für die Entwicklung von gemeinsamen Richtlinien.» Allerdings könne sich dies aufgrund des schweizweit fehlenden einheitlichen Konzepts zur Behandlung von psychisch kranken Personen im Massnahmenvollzug als grosse Herausforderung erweisen.