"Das Recht auf Wissenschaft bietet eine Grundlage für Dialog"

Die Wissenschaft als Bestandteil der kulturellen Rechte zu betrachten vereinfacht internationale Verhandlungen, findet Völkerrechtsprofessorin Samantha Besson. Von Florian Fisch

(Aus "Horizonte" Nr. 106, September 2015)
Bild: © Valérie Chételat

Das Recht auf Wissenschaft ist ein Menschenrecht. Es soll einerseits Forschende vor autoritären Regimes schützen und andererseits alle Menschen am wissenschaftlichen Fortschritt teilhaben lassen. Seit den 1960er Jahren blieb das Recht allerdings toter Buchstabe, bis es auf Anregung der Uno-Sonderberichterstatterin zu kulturellen Rechten neu lanciert wurde. Wissenschaft als Bestandteil der kulturellen Rechte zu betrachten hat nach Samantha Besson, Professorin für Völkerrecht an der Universität Freiburg, konkrete Auswirkungen, zum Beispiel auf internationalen Verhandlungen über Patente auf Saatgut.

Frau Besson, ist der Zugang zu den Früchten der Forschung nicht bereits durch die andern Menschenrechte abgedeckt?

Tatsächlich ist es in fast allen andern Rechten enthalten: Es braucht wissenschaftliche Fachkenntnisse, um Nahrung zu produzieren und Medikamente zu entwickeln. Auch deshalb fristete das Recht auf Wissenschaft bis heute ein Schattendasein. Besonders interessant ist, dass sich das Recht an wissenschaftlich tätige Personen richtet und auch an diejenigen, die davon profitieren.

Welche Vorteile bringt das?

Die internationale Saatpolitik zum Beispiel hat Auswirkungen bis zu den Forschenden in Biologie und Agrarwissenschaften. Die duale Inhaberschaft des Rechts auf Wissenschaft hilft die üblicherweise sterilen Debatten über das Recht auf Nahrung zu überwinden. In diesen Debatten steht der Anspruch der Forschenden auf geistiges Eigentum dem Recht der Bauern auf Zugang zu Saatgut und die Entwicklung neuer Sorten gegenüber. Das Recht auf Wissenschaft bietet eine Grundlage für einen fruchtbaren Dialog und innovative Lösungen.

Kreiert diese Bewegung nicht viel mehr Bürokratie für Wissenschaftler?

Der Staat könnte tatsächlich erwägen, neue Regulierungen im Forschungsbereich zu schaffen. Diese sind aber bereits heute umfangreich, und ich würde keine Flut von neuen Vorschriften befürchten.

Könnte das Recht auf Wissenschaft der Forschung auch schaden?

Mehr Demokratie ist zunächst einmal positiv. Die Beziehungen zwischen Wissenschaft und Demokratie sind jedoch delikat. Eine verstärkte demokratische Partizipation im Wissenschaftsbereich könnte allenfalls die Unabhängigkeit der Forschenden gefährden. Da diese aber zu den wertvollsten Errungenschaften der heutigen Wissenschaft gehört, müssen wir die Entwicklungen stets im Auge behalten.

Rechtssicherheit beim Geben und Nehmen

Die biologische Vielfalt ist zentral für die Vieh- und Pflanzenzucht sowie für die Entwicklung neuer Medikamente. Das von der Schweiz ratifizierte Nagoya-Protokoll
erleichtert Forschenden und Firmen den Zugang zu den genetischen Ressourcen unterschiedlicher Länder. Im Gegenzug sollen die Ursprungsländer der Ressourcen und des entsprechenden traditionellen Wissens auch an den Vorteilen der Forschung teilhaben können. Die Nagoya-Verordnung zum Naturund Heimatschutzgesetz tritt voraussichtlich Ende 2015 in Kraft.