Eine Flut von akademischem Spam
Die sogenannten Predatory Publishers und ihre unaufgefordert versendeten E-Mails belästigen mehr und mehr Forschende. Wie lässt sich diese Flut aufhalten? Von Edwin Cartlidge
(Aus "Horizonte" Nr. 111 Dezember 2016)
Mit netten Grussworte ganz unverfänglich begann die E-Mail, die kürzlich bei Adriano Aguzzi, einem Neuropathologen der Universität Zürich, eintraf. Aguzzi wusste bereits, was folgen würde: das Angebot einer obskuren, irgendwo auf unserem Planeten angesiedelten Firma, einen wissenschaftlichen Artikel für eine Fachzeitschrift einzureichen, von der er noch nie gehört hatte. Es hätte auch eine Einladung zu einer Konferenz sein können, die gar nie stattfindet. Deshalb wusste er auch, was er mit der E-Mail zu tun hatte: löschen.
Diese Nachricht – gesendet von der Firma MedCrave für einen Beitrag in der Fachzeitschrift Journal of Dairy, Veterinary & Animal Research – gehört zu einer rasant steigenden Flut akademischer Spam-Nachrichten. Aguzzi, der täglich ein halbes Dutzend solcher Nachrichten von verschiedenen Verlagen erhält, musste die Erfahrung machen, dass es unmöglich ist, die E-Mails an der Quelle zu stoppen: "Man kann eine erzürnte Antwort senden, aber sie wird einfach ignoriert." Spam-Filter seien ebenfalls ziemlich machtlos. "In der guten alten Zeit wurden Viagra-Pillen oder zwielichtige Geschäfte in Nigeria angeboten", meint er. "Akademischer Spam ist anders. Ein Unkraut, das sich nur schwer bekämpfen lässt."
Die E-Mails sind aber nicht nur lästig. Sie werden von Organisationen versendet, die vordergründig die Möglichkeiten des Internets für eine schnelle, kostenlose Verbreitung wissenschaftlicher Ergebnisse nutzbar machen, in Wirklichkeit einfach auf schnelles Geld aus sind. Wer ihrer Aufforderung Folge leistet, stellt meist fest, dass das eingereichte Manuskript bereits nach wenigen Wochen oder sogar Tagen akzeptiert wird, ohne nennenswerte Peer-Review-Bearbeitung, dafür mit einer Rechnung über einige hundert Dollar. Sollte der gutgläubige Forscher darauf – um weiteren Schaden an seinem Ruf zu verhindern – seinen Artikel zurückziehen, darf er mit einer weiteren Gebühr rechnen.
Dieser Praxis verdanken solche Organisationen die Bezeichnung "Predatory Publishers" – räuberische Verlage. Aber sie machen oft mehr, als nur (gefälschte) Fachzeitschriften zu veröffentlichen. Vor drei Jahren akzeptierte James White, ein Pflanzenwissen-schaftler an der Rutgers University in den USA, eine Einladung, als Redaktor an einer von OMICS International in Indien herausgegebenen Fachzeitschrift mitzuwirken. Nichts machte ihn bei diesem Journal stutzig, bis er zufällig erfuhr, dass ihn OMICS ohne sein Wissen als Redner an einer von dieser Firma organisierten Konferenz über Insekten aufführte. Verständlicherweise war er sehr aufgebracht darüber, dass sein Name dazu missbraucht wurde, andere (zahlende) Wissenschaftler an das Meeting zu locken. "Diese Leute werden betrogen", ist er überzeugt.
Wächter der Schwarzen Liste
Gemäss Jeffrey Beall, akademischer Bibliothekar an der University of Colorado, sind Predatory Publishers eine nicht zu unterschätzende Gefahr. Seiner Ansicht nach unterhöhlen sie das Vertrauen in die Genauigkeit der Wissenschaft. Sie überfluten die wissenschaftliche Literatur mit unzuverlässigen Ergebnissen. Beall und einige seiner Kollegen halten Predatory Journals für eine "existenzielle Bedrohung" der Wissenschaft.
Beall ist berühmt für seinen Blog "Scholarly Open Access", in dem er eine laufend aktualisierte Liste von Verlagen mit potenziellen oder wahrscheinlichen Predatory Publishers führt. Der Begriff ist seine eigene Kreation. Für die subjektive Entscheidung, ob ein Verlag in die Liste aufgenommen wird, stützt er sich auf rund 30 Kriterien einer schlechten Verlags- und Geschäftspraxis. Ausserdem unterhält er eine Liste suspekter Fachzeitschriften ohne spezifischen Verlag, und er liefert allgemeine Informationen zu verdächtigen angekündigten Konferenzen.
Seit ihrem Start 2010 ist die Liste auf über 1000 Namen gewachsen. Zu den berüchtigtsten Verlagen gehört OMICS (siehe Kasten). Erwähnenswert ist auch der Name Cardiology Academic Press. Dieser Verlag erwarb 2013 das Journal Experimental & Clinical Cardiology von einem renommierten kanadischen Verlag und begann von den Autoren Gebühren zu verlangen. Anschliessend schoss die Zahl akzeptierter Artikel von jährlich 63 auf über 1000 in die Höhe. Inzwischen scheint die Firma nicht mehr aktiv zu sein.
Hijacking von Fachzeitschriften
Andere zweifelhafte Verlage gehen noch einen Schritt weiter und imitieren bekannte Fachzeitschriften. Dazu stellen sie eine gefälschte Website ins Netz und fordern Bearbeitungsgebühren von erfolgreich getäuschten Autoren. Der mexikanische Verlag Revistas Académicas gibt beispielsweise vor, die "Cahiers des sciences naturelles" des Naturhistorischen Museums in Sion herauszugeben, und führt als Chefredaktor die kaum überprüfbare Identität eines "Dr. D. Nowack, Switzerland" auf. Zu den Hijacking-Opfern gehören auch eine 200-jährige polnische Fachzeitschrift der Forstwirtschaft, ein isländisches Life-Sciences-Journal und eine botanische Fachzeitschrift aus Südafrika.
Predatory Journals im Auge zu behalten ist eine zeitintensive und oft undankbare Aufgabe. Zwar erntet Beall viel Beifall, aber auch den Vorwurf, dass er völlig verschiedene Arten von Verlagen über einen Kamm schere – von vorsätzlich kriminellen bis zu harmlos dilettantischen. Tatsächlich wird das Prinzip, von Autoren für die Veröffentlichung einer Arbeit eine Gebühr zu verlangen, auch von vielen renommierten Open-Access-Fachzeitschriften legitim angewendet. Die Idee ist dabei, wissenschaftliche Artikel im Internet frei zugänglich zu machen statt über eine herkömmliche Fachzeitschrift durch Abonnementsgebühren nur zahlenden Lesern. In den vergangenen Jahren hat Open Access ständig an Boden gewonnen. Viele Regierungen verlangen bereits, dass durch öffentliche Mittel finanzierte Forschungsergebnisse frei verfügbar gemacht werden.
Beall ist überzeugt, dass das Prinzip der Autorengebühren einen Interessenkonflikt birgt, weil die Verlage – um den Gewinn zu erhöhen – möglichst viele Artikel akzeptieren und dabei ihre Standards senken. Bei herkömmlichen wissenschaftlichen Publikationen seien die Verlage dagegen gezwungen, hohe Standards beizubehalten, weil ihnen sonst die Kündigung der Abonnemente durch die Bibliotheken drohe. "Jetzt", meint er, "kann jeder publizieren, was er will, solange er es sich leisten kann, den Verlag zu bezahlen."
Die weisse Liste
Infolge der schlechten Presse, die ihnen die Predatory Journals eingetragen haben, erhöhten die Open-Access-Verlage ihre Anforderungen. Das Verzeichnis DOAJ (Directory of Open Access Journals), das teilweise durch Open-Access-Verlage gesponsert wird, führt eine Liste mit derzeit 9000 Fachzeitschriften, die als vertrauenswürdig eingestuft werden. In den ersten Jahren nach der Gründung 2003 in Schweden wendete das DOAJ noch keine strikten Kriterien für die Aufnahme in die Liste an. Seit 2014 fordert es von Journals, die sich bewerben, detaillierte Informationen über Lizenzen, Transparenz, ihr Peer-Review-System und andere Bereiche. Inzwischen werden weniger als 40 Prozent der Neubewerber in die Liste aufgenommen und regelmässig Journals entfernt, die den Anforderungen nicht mehr genügen.
Lars Bjørnshauge, Geschäftsführer von DOAJ, weist darauf hin, dass sich dieser Ansatz grundsätzlich von Bealls Vorgehen unterscheide. "Beall stigmatisiert die Verlage einfach. Wir wenden viel Zeit für sie auf", erklärt er. "Wir helfen ihnen, ihren Job besser zu machen."
Auch andere kritisieren Beall. Bo-Christer Björk, Informatiker an der Hanken School of Economics in Helsinki, ist nicht "übermässig besorgt" über den potenziellen Interessenkonflikt bei bezahlenden Autoren. Die Möglichkeit, dass ihr Impact Factor zusammen mit demjenigen etablierter Fachzeitschriften von Thomson Reuters aufgeführt wird, ist seiner Ansicht nach eine sehr starke Motivation für Open- Access-Verlage, ihre Standards hoch zu halten. "Es dreht sich alles um das Ansehen", meint er.
400 000 Artikel pro Jahr
Im vergangenen Jahr veröffentlichte Björk zusammen mit der Doktorandin Cenyu Shen eine Studie zum Aufstieg des Predatory Publishing (siehe Grafiken S. 43). Sie stellten fest, dass die Gesamtzahl der weltweit in Predatory Journals erschienenen Artikel von rund 50 000 im Jahr 2010 auf mehr als 400 000 im Jahr 2014 stieg, verglichen mit jährlich 1 bis 1,5 Millionen Artikeln in Fachzeitschriften, die von Thomson-Reuters indexiert sind. Die beiden Forschenden beobachteten allerdings grosse Abweichungen je nach Fachgebiet und ausgeprägte geografische Unterschiede sowohl in Bezug auf den Standort der Verlage als auch auf das Land, in dem die Autoren leben. In beiden Kategorien dominieren die Entwicklungsländer, mit Indien an der unbestrittenen Spitze.
Björk leitet daraus ab, dass Predatory Publishing in der westlichen Welt kein vordringliches Problem sei. Seines Erachtens besteht der Grund für das Florieren zweifelhafter Journals in den Entwicklungsländern darin, dass es dort einen "Markt von Akademikern gibt, die ihre Artikel um jeden Preis veröffentlichen wollen", was dadurch verstärkt werde, dass in Indien und anderswo die Regierung Forschende dränge, in internationalen Fachzeitschriften zu veröffentlichen, ohne die Qualität solcher Publikationen zu prüfen.
Nicht alle schätzen Predatory Journals so gelassen ein. Aguzzi pflichtet Beall bei, dass skrupellose Verlage das Fundament des "Wissenschaftsgebäudes" untergraben und der Ansatz des bezahlenden Autors – auch "Gold Open Access" genannt – die Wurzel des Übels ist. "Das Open-Access- Modell ist so nicht vertretbar", findet er.
Aguzzi weist auch darauf hin, dass es Überschneidungen zwischen den vom DOAJ akzeptierten und den in der Beall- Liste aufgeführten Journals gibt – darunter ziemlich renommierte westliche Verlage wie Frontiers. Dieser Verlag wurde 2007 von Henry und Kamila Markram, beides Neurowissenschaftler der Eidgenössischen Technischen Hochschule Lausanne (EPFL), gegründet und publiziert gemäss Website mehrere der weltweit am häufigsten zitierten Open-Access-Journals. Frontiers wurde von vielen Forschenden, unter anderem 31 Redaktoren von drei verlagseigenen medizinischen Fachzeitschriften, scharf kritisiert. Im vergangenen Jahr verfassten sie ein "Manifest", in dem sie ihren Unmut über die Peer-Review-Prozesse des Verlags und angebliche redaktionelle Beeinflussungen äusserten. Frontiers wies die Vorwürfe zurück und entliess die Redaktoren.
Platin statt Gold
Aguzzi ist ein Befürworter des sogenannten "Platinum Open Access". Im Gegensatz zum "Gold Open Access" wird dabei auf Gebühren für die Autoren verzichtet. Die Publikationskosten werden über Beiträge von Forschungsinstitutionen, Universitätsbibliotheken, wissenschaftlichen Akademien oder philanthropischen Organisationen finanziert. Auf diesem Modell beruht die Fachzeitschrift Swiss Medical Weekly, deren Chefredaktor Aguzzi ist. Zwar erfordere dieses System "viel Fundraising", dennoch glaubt Aguzzi, dass es sich langfristig durchsetzen und dem Predatory Publishing den Boden entziehen werde.
Björk ist anderer Meinung. Er erinnert daran, dass es mehrjährige Verhandlungen brauchte, um Scoap3, ein Konsortium zur Finanzierung von Open Access Publishing im Bereich Teilchenphysik, ins Leben zu rufen, und das grösste Journal in letzter Minute doch noch ausstieg. "Die Idee klingt gut, ist aber in der Praxis unglaublich schwer umzusetzen."
White ist überzeugt, dass es keine einfache Lösung gibt: "Die Welt der wissenschaftlichen Publikation hat sich verändert. Wir müssen mit dieser Realität leben und deshalb besonders sorgfältig auswählen, wo wir publizieren."
Edwin Cartlidge lebt in Rom und schreibt für Science and Nature.
Der Spitzenräuber
Der Open-Access-Verlag OMICS erlebte gemäss den vom Direktor Srinubabu Gedela vorgelegten Zahlen einen kometenhaften Aufstieg. Nach der Gründung im indischen Hyderabad 2007 publizierte das Unternehmen 2009 zuerst 50 Journals, 2012 dann 200 und inzwischen mehr als 700 Titel – dank einer Armee von rund 50 000 Fachgutachtern und Redaktoren. Nach eigenen Angaben organisiert der Verlag ausserdem weltweit jährlich mehr als 3000 wissenschaftliche Konferenzen.
Das spektakuläre Wachstum hat Kritik auf sich gezogen – von einzelnen Wissenschaftlern wie Jeffrey Beall, aber auch von der USKartellbehörde (Federal Trade Commission), die das Unternehmen wegen Täuschung von Akademikern und versteckten Publikationsgebühren verklagt hat. Die Behörde wirft OMICS nachlässige Peer-Review-Verfahren und falsche Behauptungen zur Identität von Redaktionsmitgliedern vor.
Gedela bestreitet die Vorwürfe. Er betont, dass er "zu 100 Prozent sicher" sei, dass alle 30 000 von OMICS im letzten Jahr veröffentlichten Artikel in einem Peer-Review-Verfahren beurteilt wurden. Ausserdem seien rund 40 Prozent der eingereichten Arbeiten abgewiesen worden. Dem letztjährigen Gewinn von rund 250 000 Dollar stellt er die "Millionen oder Milliarden von Dollar" gegenüber, die ein Abonnement-Verlag bei einem ähnlichen Output erwirtschaftet hätte.