Junge Erwachsene im Dilemma zwischen traditionellen Familienvorstellungen und modernen Ansichten

Ein Mann hält ein Ultraschallbild seines Kindes in den Händen und schaut nachdenklich nach rechts oben.

Selbst junge Erwachsene, die noch keine Kinder haben, sind durch traditionelle Familienbilder geprägt, wie eine vom Schweizerischen Nationalfonds unterstützte Studie zeigt. Gleichzeitig haben sie moderne Ansichten von Gleichberechtigung, beruflichem Engagement und Kinderbetreuung. Das bringt nicht nur die jungen Frauen, sondern auch die jungen Männer bereits früh in eine Zwickmühle.

Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist bekanntlich ein aufreibender Balanceakt. Bislang hat die Forschung dabei vor allem auf Frauen fokussiert, die bereits Kinder haben. Wie sich hingegen kinderlose Erwachsene ihre berufliche Zukunft und ihr späteres Familienleben vorstellen, ist noch wenig untersucht. Unterstützt durch den Schweizerischen Nationalfonds gingen Forschende unter der Leitung von Andrea Maihofer dieser Frage nach. Das Team vom Zentrum Gender Studies an der Universität Basel führte 48 qualitative Interviews mit jungen Erwachsenen bis Anfang 30, ausgewählt aus einer Längsschnittstudie mit 6000 Personen. Ihre Resultate fassen sie in einer öffentlichen Synthese zusammen.(*)

Die Befunde aus der Analyse sind im Kontext einer sich als emanzipiert verstehenden Gesellschaft überraschend: Noch immer sehen sich die Männer als zukünftige Haupternährer der Familie. Gleichzeitig wollen sie bereits ab Geburt für ihre Kinder präsent sein. Spiegelverkehrt gehen Frauen nicht davon aus, später die finanzielle Hauptverantwortung für die Familie tragen zu müssen. Gleichzeitig identifizieren sie sich immer stärker über das berufliche Engagement, betrachten die Aufgabe der Kinderbetreuung aber vor allem als ihre Sache. Beide Geschlechter also geraten bereits in ein Dilemma, bevor sie Eltern sind. Dabei betrachten sie die Aufteilung von Erwerbsarbeit und Kinderbetreuung als Angelegenheit, die jedes Elternpaar individuell zu regeln hat, ohne Unterstützung durch die Gesellschaft.

Die zukünftigen Väter

Gemäss den Forschenden hat es den Männern lange gereicht, wenn sie hauptsächlich bei älteren Kindern als Väter involviert waren. Die Entwicklung hin zu einer frühen präsenten Vaterschaft sei neu. Fast alle wünschten sich heute eine Arbeitsreduktion auf 80 Prozent. "Dabei ist häufig nur bei einer Vollzeitbeschäftigung eine berufliche Entwicklung möglich, welche die jungen Männer noch immer anstreben", sagt Andrea Maihofer. Die kinderlosen Männer nehmen ihr Arbeitsumfeld bezüglich Teilzeit und Vereinbarkeit als sehr unflexibel bis ablehnend wahr. Sie setzen sich aber nicht aktiv für Veränderungen ein, indem sie sich zum Beispiel politisch engagieren.

Die zukünftigen Mütter

"Auch die jungen Frauen geraten bereits in ein Dilemma, bevor sie überhaupt Kinder haben", stellt Andrea Maihofer fest. Mehr als früher ist ihnen der Erhalt ihrer beruflichen Identität wichtig, und sie sorgen sich, bei einer späteren Mutterschaft ihre Eigenständigkeit zu verlieren. Trotzdem gehen sie nicht davon aus, die ökonomische Verantwortung für die Familie übernehmen zu müssen. Auch sie erleben die strukturellen Bedingungen der Arbeitswelt als starr und hinderlich. So sprechen sie in den Interviews oft davon, dass sie "Glück" haben müssten – zum Beispiel einen verständnisvollen Chef –, um Familie und Beruf dereinst zufriedenstellend vereinbaren zu können.

Eigenverantwortung

Trotz der noch wirksamen stereotypen Rollenbilder wollen die kinderlosen Erwachsenen von einer Hierarchie zwischen den Geschlechtern nichts wissen. In ihren Schlussfolgerungen betonen die Forschenden, dass die jungen Männer und Frauen die gleichzeitig existierenden traditionellen und neuen Vorstellungen erst mühsam erproben müssen, da sie kaum auf neue Vorbilder zugreifen können.

Die jungen Erwachsenen gehen davon aus, dass die spätere Aufteilung von Berufs- und Familien-Engagement stark vom jeweiligen "Typ" Vater und Mutter abhängt und vom Paar individuell geregelt werden muss. Andrea Maihofer kommentiert diesen Befund: "Die Annahme von der individuellen Einzigartigkeit der Mütter und Väter lässt den jungen Erwachsenen die gleichberechtigte Gestaltung ihres Familien- und Berufslebens als ihr alleiniges Problem erscheinen". Sie sieht darin die Gefahr, dass dies «den Blick auf die Verantwortung von Staat und Gesellschaft verstellt». Ein Problem, das sie durch die in Politik und Gesellschaft beliebte Rede von der Eigenverantwortung noch verstärkt sehe.

(*) A. Maihofer, S. Hupka-Brunner, K. Schwiter, D. Baumgarten, Nina Wehner: Wie beeinflussen Vorstellungen von Familie und Beruf die Berufsverläufe von jungen Männern* und Frauen? Ergebnisse des Forschungsprojekts "Antizipierte Elternschaft und Berufstätigkeit. Zur Wechselbeziehung von Familien- und Berufsvorstellungen junger Erwachsener", ZGS Diskussions-Papier, Zentrum Gender Studies, Basel 2018.

Ergebnisse des Forschungsprojekts "Antizipierte Elternschaft und Berufstätigkeit"External Link Icon

Kontakt

Links

  • SNF-Projekt:External Link IconAntizipierte Elternschaft und Berufstätigkeit: Zur Wechselbeziehung von Familien- und Berufsvorstellungen junger Erwachsener und ihrer Bedeutung für die berufliche Geschlechtersegregation
  • NFP 60:External Link Icon"Geschlechterungleichheiten in Ausbildungs- und Berufsverläufen"