Wann ist Schluss mit lustig?
Raphaela Cueni untersucht den grundrechtlichen Schutz der Satire. In der Schweiz ortet sie Zeichen für eine gesunde Streitkultur. Von Isabel Zürcher
(Aus "Horizonte" Nr. 110 September 2016)
Nicht immer hält sich Satire an die Regeln des guten Geschmacks. Und wenn politische oder religiöse Differenzen der begrifflichen Eindeutigkeit Widerstand leisten, steht nicht weniger auf dem Spiel als die freie Meinungsäusserung. In ihrer Promotion bearbeitet Raphaela Cueni dieses verfassungsrechtlich sensible Feld.
Frau Cueni, gibt es vom juristischen Standpunkt her überhaupt eine gültige Definition der satirischen Kommunikation?
Eine juristische, einfach anwendbare Definition für Satire gibt es nicht. Gerichte in verschiedenen Rechtsordnungen haben jedoch mehr oder weniger zweckmässige Definitionen entwickelt, auch das Schweizerische Bundesgericht. Ein konstitutives Element der Satire ist Irritation, die in Wut oder Aggression umschlagen kann. Satire trifft sozial vereinbarte Normen und nutzt hierfür die ästhetischen Möglichkeiten des sprachlichen und gestischen Ausdrucks.
Grosse Fälle der Rechtsprechung sind im Land des Nebelspalters weitgehend ausgeblieben. Können Sie dies erklären?
Verschiedene Gerichte wie auch der Presserat haben auch in der Schweiz immer wieder satirische Meinungsäusserungen zu beurteilen. Dass die Rechtsprechung zu Satire auf Bundesebene weit weniger ausgeprägt ist als etwa in Deutschland, könnte gerade ein Zeichen für gesunde Streitkultur sein. Denn zu ihr gehört auch die Einsicht, wann gerichtliche Verfahren nicht sinnvoll sind. Grossbritannien ist da beispielhaft: Obwohl die britische Satire unumwunden aggressiv und gezielt boshaft ist, bleiben grössere Gerichtsverfahren aus. Kläger gegen satirische Äusserungen realisieren, dass der mit gerichtlichen Verfahren verbundene Wirbel unabhängig vom Verfahrensausgang in Fällen der Ehrverletzung absolut kontraproduktiv ist.
Der Sprengstoff der Satire wird immer wieder sichtbar: an den heftigen Reaktionen auf die Mohammed-Karikaturen in Dänemark, beim Anschlag auf Charlie Hebdo in Paris oder bei der Kontroverse um Jörg Böhmermanns Schmähgedicht auf Erdogan.
Die stark mediatisierten Ereignisse unterstreichen Relevanz und Aktualität eines Nachdenkens über Satire und unsere Wahrnehmung der Meinungsfreiheit. Gerade die französische Situation ist interessant: Scheinbar ohne den Widerspruch zu bemerken, betont der Staatspräsident die bedingungslose Meinungsfreiheit und spricht sich in Bezug auf die antisemitischen Äusserungen des Komikers Dieudonné gleichzeitig für deren Einschränkung aus.
Es ist aber zu limitiert, nur die öffentlichkeitswirksamen Fälle zu betrachten. Die rechtlich umstrittensten Fragen in Bezug auf Umfang und Grenzen des grundrechtlichen Schutzes von Satire stellen sich oft in vergleichsweise unspektakulären Fällen. Die Gegenüberstellung von SVP-Nationalrat Oskar Freysinger mit Adolf Hitler in der Walliser Zeitung Confédéré beispielsweise wirft Fragen auf, etwa bezüglich des Verhältnisses zwischen Satire und Wahrheit. Der Fall aus dem Jahr 2007 dürfte aber selbst in der Schweiz nur noch wenigen in Erinnerung sein. Im Übrigen sind rechtliche Grundlagen weder dazu geeignet, noch haben sie den Anspruch, moralische und ethische Fragen abschliessend zu beantworten.
Allein in der Schweiz als sprachlich, konfessionell und religiös heterogenem Land trifft die Satire auf unterschiedliche Wahrnehmungen. Was bedeuten diese kulturellen Unterschiede juristisch gesehen?
Die Frage ist, welcher rechtliche Rahmen der Satire einen angemessenen Freiraum gewährt. Die Unterschiede in Ausprägung und Wahrnehmung von Satire, von Humor generell, sind dabei eng verknüpft mit der laufend zu verhandelnden Frage nach dem Verhältnis zwischen Recht und Kultur. Recht ist ja nichts anderes als der Ausdruck einer bestimmten Kultur. Es kreiert aber gleichzeitig einen Rahmen, in dem sich eine Kultur entwickeln kann.
Die Doktorandin Raphaela Cueni ist Assistentin an der juristischen Fakultät der Universität Basel. Sie ist soeben von einem Forschungsaufenthalt an der Columbia Law School zurückgekehrt.
Isabel Zürcher arbeitet als Kunstwissenschaftlerin und Publizistin in Basel.