Durch GPS verursachtes Verkehrschaos verhindern

GPS-Verkehrschaos verhindern
© Johannes Schöning / Universität St. Gallen

Auf der Strasse blind dem Navi zu folgen kann zu Konflikten führen. Ein vom SNF gefördertes Forschungsteam hat solche Vorfälle analysiert und plädiert für mehr Eigenverantwortung.

San Bernardino, jährlich an Ostern: Der Urlaubsverkehr führt zu Stau auf der A13. Die Navigationssysteme leiten die Blechlawine in die umliegenden Dörfer um. Für Einheimische gibt es kein Durchkommen mehr.

Herisau, Wanderweg: Auf der Suche nach einer Quartierstrasse stranden ständig Autos und Lieferwagen auf einem steilen Kiesweg, der für Fahrzeuge gesperrt ist. Dies führt zu riskanten Wendemanövern, wie Anwohnende dem SRF berichten. Statt Schildern folgen die Fahrenden blind den Anweisungen des Navis.

Zürich, Rad-WM 2024: Aufgrund der vielen Strassensperren und Umleitungen kommt es zum Verkehrschaos. Mit Schuld daran sind falsche Routenvorschläge von Google Maps so die Stadtpolizei.

So segensreich GPS-gesteuerte Navis im Alltag sind, oft führen sie auch auf Abwege und lösen Empörung aus. Manchmal lotsen sie Autos und Lastwagen sogar auf sehr anspruchsvolle Strassen und bringen Beteiligte wie Unbeteiligte unnötig in Gefahr. «Es handelt sich um eine Technologie, die weltweit wohl von über einer Milliarde Menschen verwendet wird. Deswegen ist es wichtig, auch die gesellschaftlichen Auswirkungen zu verstehen», sagt der Postdoc Gian-Luca Savino. Er forscht zur Interaktion zwischen Mensch und Technik innerhalb eines vom Schweizerischen Nationalfonds geförderten Projekts der Universität St. Gallen, unter der Leitung von Johannes Schöning.

Da es keine öffentlich verfügbare Dokumentation gibt, wendeten die Forschenden eine andere Methode an: Sie durchkämmten die Nachrichtendatenbank Lexis-Nexis systematisch nach Zeitungsartikeln und Internetbeiträgen über Ereignisse, bei denen Navigationssysteme für Chaos und Probleme sorgten. Um Komplikationen durch Übersetzungen zu vermeiden, beschränkten sie sich auf englische Texte, die daher auch meist über Geschehnisse in englischsprachigen Ländern berichteten. Aber wie die eingangs erwähnten Beispiele illustrieren, passieren solche Vorfälle auch in der Schweiz.

«Durch eine solche Suche bekommt man ein sehr gutes Bild davon, wie bestimmte Phänomene in der Gesellschaft wahrgenommen werden», sagt die Doktorandin und Erstautorin Eve Schade. «In Gesellschaften, in denen Navigationsapps zunehmend genutzt werden, ist davon auszugehen, dass wir derartige Situationen in Zukunft vermehrt erleben werden.»

Verkehr gestört – Sicherheit gefährdet

Insgesamt identifizierten sie neunzig Vorfälle in den Jahren 2010 bis 2023. Das Team unterzog die Artikel danach einer systematischen Inhaltsanalyse, um die dort genannten Probleme in Kategorien einzuteilen: Bei den beklagten Verkehrsstörungen handelte es sich in der Hälfte der Fälle um Staus, bei einem Drittel um Durchfahrt von Schwerverkehr − vor allem in Strassen, die nicht für solches Verkehrsaufkommen ausgelegt waren. Weniger häufig wurde über Verstösse gegen Verkehrsregeln und Belästigung von Anwohnenden berichtet. Letztere kamen beispielsweise aufgrund der Autoschlange nicht mehr aus ihren Privatparkplätzen heraus.

Gefahren für die Sicherheit, die in den Zeitungsberichten thematisiert wurden, waren in einem Drittel der Fälle Unfälle, aber auch die Beschädigung von Strassenbelägen. «Erstaunt hat uns, wie oft die zusätzliche Luftverschmutzung thematisiert wurde», sagt Savino. «Das ist auch sicherheitsrelevant, weil es gesundheitliche Konsequenzen haben kann.»

Mit Studien wie dieser will das Team aber nicht nur die in der Gesellschaft wahrgenommenen Probleme kategorisieren, sondern auch Lösungsansätze erarbeiten. «Die Auswertung zeigte, dass meist nur Anpassungen auf der lokalen Ebene angestrebt werden», so Savino. So wurden beispielsweise Strassen in Wohngebieten für den Durchgangsverkehr gesperrt oder das Abbiegen an bestimmten Stellen verboten. Bei einigen Apps können auch Fehler gemeldet werden. Dies seien aber keine nachhaltigen Optionen, sondern nur Verschiebungen des Problems. «Die Autos verschwinden zwar aus einem Quartier, tauchen dafür aber dann im nächsten wieder auf», so Savino.

Den Menschen in die Verantwortung nehmen

Deswegen sind systematischere Ideen gefragt, zum Beispiel eine Anpassung der Algorithmen der Anbieter wie etwa Google Maps. Das Team hat aber auch noch einen anderen Vorschlag, welcher die Verantwortung nicht komplett der Technologie überlässt: Das System könnte die Userinnen mit zusätzlichen Informationen über die vorgeschlagenen Routen versorgen – und sie dann selbst wählen lassen.

«Ein Lastwagenfahrer könnte dann zum Beispiel überlegen, ob er durch ein ruhiges Wohngebiet brettern will oder halt im Stau zehn Minuten länger braucht», so Schade. Im Moment beruhe die Routenberechnung durch Navigationssysteme allein darauf, dass die fahrende Person an Zeit gewinnt. Aspekte, welche zum Beispiel die Auswirkung auf die Umgebung betreffen oder mögliche Sicherheitsrisiken, haben kein Gewicht. «Es wäre doch schön, wenn der Mensch sich freiwillig für mehr Rücksichtnahme entscheiden könnte.»