«Wissenschaftskommunikation ist eine Art Lobbyarbeit in der breiten Öffentlichkeit»
Die Agora-Evaluationskommission hat eine neue Präsidentin: Kommunikationsexpertin Hanna Wick ist Nachfolgerin von Mike Schäfer.
Frau Wick, am 1. September übernehmen Sie das Amt als Präsidentin der Agora Evaluationskom-mission. Was reizt Sie besonders an dieser Aufgabe?
Agora ist ein einzigartiges Instrument für die Forscherinnen und Forscher in der Schweiz. Der SNF bietet ihnen damit den grossen Luxus, sich im Feld der Kommunikation auf kreative und unkonventionelle Weise auszuprobieren und Wege zu finden, mit der Gesellschaft in Dialog zu treten. Wenn ich eine junge Forscherin wäre, würde ich sofort ein Gesuch einreichen und diese Spielwiese, die wir damit bieten, nutzen. Ich selbst bin zwar keine Forscherin, aber ich verfüge als ehemalige Wissenschaftsjournalistin über die nötige Expertise, um einschätzen zu können, ob eine Kommunikationsidee funktionieren kann oder nicht. Mich da einzubringen, finde ich sehr spannend.
Mit Ihrer Erfahrung als Wissenschaftsjournalistin und als angehende Mathematik- und Physiklehrerin sind Sie eine ausgewiesene Praktikerin und Expertin darin, einem Laienpublikum komplexe Themen näher zu bringen. Wie begeistert man ein forschungsfernes Publikum auch für weniger populäre Themen aus der Mathematik oder der Physik?
Mathematik und Physik sind Bereiche, die im Alltag eine grosse Rolle spielen. Wenn jemand zum Beispiel über den Rückbau von Atomkraftwerken forscht, ist das ein Thema, das viele Menschen betrifft und auch interessiert. Ich kann aber auch als theoretische Festkörperphysikerin zur Beschichtung von exotischen Materialien forschen und meine Arbeit der Öffentlichkeit präsentieren, auch wenn das Thema vielleicht auf den ersten Blick nur wenige anspricht. Eine Ausstellung zu den spektakulärsten Durchbrüchen in den Materialwissenschaften und zu den rekordverdächtigsten Materialien kann durchaus viele Menschen begeistert. Man muss sich dafür allerdings etwas Mühe geben oder sich von Leuten unterstützen lassen, die sich mit Wissenschaftsvermittlung auskennen. Das müssen nicht zwingend Medienschaffende sein. Auch Kuratorinnen von Museen oder Mitarbeitende aus Bibliotheken können sich für eine Zusammenarbeit eignen und unter Umständen völlig überraschende Perspektiven auf die eigene Forschung eröffnen.
Ein kürzlich erschienener Bericht der Schweizer ExpertInnengruppe "Communicating Sciences and Arts in Times of Digital Media" (Link am Ende des Textes) fordert, dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aktiv mit der breiten Öffentlichkeit über ihre Forschungsresultate kommunizieren. Dieses Anliegen verfolgt auch der SNF mit Agora.
Ja, und das ist sehr wertvoll. Die Forschenden, die an Agora-Projekten arbeiten, lernen viel über Kommunikation. Wenn sie später ein Interview geben, wissen sie viel besser, worauf sie achten müssen und wie sie sich verständlich ausdrücken können. Ausserdem haben sie weniger Berührungsängste gegenüber Aussenstehenden, die unter Umständen kritische Fragen stellen. Zu Agora gehört ja auch, dass sich ein Forschungsteam dem Wind der Gesellschaft aussetzt und im Kontakt mit der Öffentlichkeit erfährt, welche Punkte von aussen eher kritisch betrachtet werden. Im Rahmen eines Agora-Projektes kann man Kritik und Gegenwind noch etwas steuern, zum Beispiel, wenn man selber eine Podiumsdiskussion organisiert und festlegt, wer am Podium teilnimmt. Im Kontakt mit den Medien geht das dann nicht mehr. Aber Agora kann eine gute Vorbereitung sein.
Es kann aber auch sein, dass die Leitung eines Agora-Projektes ein erster Schritt in die Öffentlichkeitsarbeit ist, sozusagen ein erster Test, ob die Kommunikation ein mögliches zukünftiges Berufsfeld sein könnte. Oft sind diejenigen, die unsere Projekte durchführen Postdoktorierende oder Doktorierende, und nicht die Personen, welche die Gesamtleitung in einem Forschungsprojekt innehaben.
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler diskutieren und argumentieren innerhalb ihrer Community sehr gründlich und faktentreu. Ungenaue Äusserungen werden von wissenschaftlichen Peers sofort kritisch hinterfragt. Dem Dialog mit der breiten Öffentlichkeit steht das häufig im Weg, weil man weniger tief ins Detail gehen kann. Lernen Forschende durch Agora, mit dieser Gegensätzlichkeit umzugehen?
Für viele Forschende ist das tatsächlich ein Hemmnis, weil es nicht mit ihren wissenschaftlichen Werten zusammenpasst. Es gibt aber in allen Fachgebieten renommierte Fachpersonen, die unter Forschenden ein hohes Ansehen geniessen und die sich sehr souverän populär ausdrücken können. Die Physikerin Lisa Randall oder die Biologin und Nobelpreisträgerin Jennifer Doudna sind Beispiele dafür. Oftmals hilft es, solche Vorbilder zu suchen und als Leuchtturm hinzustellen. Diese Leute machen in der Öffentlichkeit eine Art Lobbyarbeit für ihr Forschungsfeld, was ebenso wichtig ist wie die Lobbyarbeit innerhalb der eigenen Reihen.
Ich bin ohnehin der Meinung, dass es eine Pflicht von jeder Forscherin und jedem Forscher ist, sich so ausdrücken zu können, dass die Steuerzahlenden verstehen, worum es geht. Schliesslich finanziert die Bevölkerung die Forschung mit, da gibt es also eine Form der Rechenschaftspflicht aufseiten der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler.
Wer bei Agora einreicht, hat die erste Hürde schon genommen. Wie aber erreicht man die Forschenden, die es nicht in die Öffentlichkeit zieht?
Man kann sich natürlich überlegen, Kurse oder Coachings anzubieten. Beim Forum Agora, das dieses Wochenende stattfindet, bieten wir zum Beispiel Vorträge und Workshops zu unterschiedlichen Kommunikationsformaten an. Dafür haben wir Fachleute aus der Kommunikationsbranche eingeladen. Ich könnte mir aber auch eine Art Botschafterprogramm vorstellen, zum Beispiel indem Forschende, die Erfahrung mit erfolgreichen Agora-Kommunikationsprojekten haben, an Panels oder wissenschaftlichen Tagungen darüber berichten.
Am 15. Oktober schliesst der laufende Agora Call. Über welche Projektideen würden sie sich besonders freuen?
Bei einem Agora-Projekt muss auf jeden Fall ein wichtiges Thema im Zentrum stehen. Die Projekte sollen ja ein Publikum finden; dafür braucht es Relevanz. Diese Relevanz muss nicht zwingend politisch sein, sie kann durchaus auch gesellschaftlich, wirtschaftlich oder emotional sein. Wir sind in der Kommission sehr streng in der Beurteilung dieses Punktes. Ich finde es zudem gut, wenn Agora-Projekte der breiten Bevölkerung aufzeigen, wie man in der Forschung arbeitet. Am Ende sollte das Publikum ein besseres Verständnis für wissenschaftliche Methodik haben. Ich habe das Gefühl, dass vielen Menschen nicht ganz klar ist, was man von der Wissenschaft erwarten kann. Im Dialog können Forschende aufzeigen, was sie sich überlegen und wie wissenschaftlicher Konsens entsteht. Das kann auch helfen im Kampf gegen Desinformation.
Die besten Projekte zeichnen wir jeweils mit dem Preis Optimus Agora aus. Anhand der Preisträgerinnen und Preisträger kann man sehr gut sehen, wie originelle und kreative Wissenschaftsvermittlung funktioniert.
Zur Person:
Die Physikerin und Journalistin Hanna Wick arbeitete während gut 15 Jahren als Wissenschaftsredaktorin und Autorin bei der NZZ, beim Schweizer Radio SRF und beim Schweizer Fernsehen. 2014 erhielt Wick die Auszeichnung «Wissenschaftsjournalistin des Jahres». 2019 begann sie an der Universität Zürich eine neue Ausbildung als Gymnasiallehrerin für Mathematik und Physik. Seit 2020 ist Wick Mitglied der Agora-Evaluationskommission, welcher sie seit dem 1. September 2021 als Präsidentin vorsitzt.